Der „Experienced-Involvement“ (EX-IN) Ansatz fördert die Qualifizierung von psychiatrieerfahrenen Menschen, damit sie als DozentIn oder als MitarbeiterIn in psychiatrischen Diensten tätig werden können.

Ullie war Teilnehmer im ersten EX-IN Kurs in Frankfurt und berichtet im Interview mehr über die Ausbildung zum EX-IN Genesungsbegleiter und verrät, welche neuen beruflichen Perspektiven er sich dadurch erhofft.

Michelle Hübenthal im Gespräch mit Ullie:

Michelle: Lieber Ullie, danke für Deine Bereitschaft zu einem Interview. Du hast die Ausbildung zum Genesungsbegleiter im September 2016 abgeschlossen. Kannst Du mir verraten, was es mit dem EX-IN Konzept auf sich hat?

Ullie: EX-IN steht für „Experienced-Involvement“ und wurde im Rahmen des europäischen Leonardo da Vinci Pilotprojekts EX-IN 2005 bis 2007 entwickelt. Inzwischen wird es in vielen Ländern mit unterschiedlicher Gewichtung angewendet. Das Ziel jeder Ausbildung bleibt jedoch das gleiche: Die Ausbildung von Psychiatrie-Erfahrenen zu GenesungsbegleiterInnen und/oder DozentInnen. Ich absolvierte meine Ausbildung beispielsweise bei der Frankfurter Werkgemeinschaft in Frankfurt. Die TrainerInnen waren Elias Nolde und Michelle Hübenthal. Hier lernte ich zusammen mit anderen TeilnehmerInnen innerhalb von zwei Jahren, wie wir unsere bisherigen Erfahrungswerte hinsichtlich unserer Erkrankung sinnvoll für Andere einsetzen können. Wir wurden quasi zu Experten durch unsere Erfahrung.

Michelle: Das ist ja äußerst spannend! Es scheint, als würde hier eine Umkehr der Stigmatisierung stattfinden. Die Schwäche wird zur Stärke.

Ullie: Ja. Mittlerweile bin ich der Meinung, dass auch negative Erfahrungen zu einem positiven Ergebnis führen können. Denn genau diese werden nun zu meiner Stärke. Dieses Denken über mich selbst hat mich nachhaltig verändert. Es ist schon erstaunlich, wie sich mein Gesundheitszustand in den letzten zwei Jahren nach einer tiefen Depression verbessert hat, alleine dadurch, dass sich mein Denken über meinen eigenen Gesundheitszustand geändert hat. Auch die am besten ausgebildeten Ärzte und Psychologen können nicht nachvollziehen, wie man sich als psychisch Erkrankter fühlt, wenn sie nicht selber einmal erkrankt sind. Zudem sind viele Psychiatrien gekennzeichnet durch eine überwiegend medizinisch orientierte Behandlung. Psychiatrie-Erfahrene verfügen jedoch durch ihre bisherige Nutzung der psychiatrischen Dienste über ein gutes Wissen über unterstützende Haltung, Methoden und Strukturen, das sie an Andere weitergeben können, welches aber derzeit noch kaum in die bestehende Versorgung miteinfließt.

Michelle: Kannst Du Beispiele nennen, in welchen Bereichen die GenesungsbegleiterInnen nach Abschluss ihrer Ausbildung tätig sind? Welche beruflichen Perspektiven erhoffst Du Dir konkret von der Ausbildung?

Ullie: Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Genesungsbegleiter werden überall dort gebraucht, wo Menschen versuchen zu genesen: Im gemeindepsychiatrischen Umfeld sind das Kliniken, das betreute Einzelwohnen (BEW), Tagesstätten, Werkstätten, Wohnheime oder Beratungsstellen. Während meiner beiden Praktika während der Ausbildung durfte ich ein Team bei der ambulanten psychiatrischen Akutbehandlung bei den Klienten zu Hause unterstützen. Ich merkte gleich, dass ich als Betroffener einen anderen und spezielleren Zugang zu den PatientInnen fand. Die ruhige und ausgeglichene Art, die ich mitbringe, wirkte dabei oft deeskalierend auf die Betroffenen. Ich merkte schnell, wie sinnspendend die Arbeit als Genesungsbegleiter sein kann und dass mir eine 1:1 Betreuung sehr viel Spaß machen kann.

Michelle: Gibt es denn viele Jobs in Frankfurt für Genesungsbegleiter?

Ullie: Es ist nur fair zu bemerken, dass sich die Frankfurter Organisationen doch noch recht schwer mit dem neuen Berufsfeld des Genesungsbegleiters tun. Wenn der „Betroffene“ zum „Erfahrungs-Profi“ wird, dann ändert sich nicht nur für ihn die Rolle, sondern auch die Mitarbeiter in den Einrichtungen müssen sich auf diesen Rollenwechsel neu einstellen. Hier wird gedanklich oft der Erfahrungsprofi zum Betroffenen erklärt, der plötzlich ein Kollege werden will. Hier ist noch einiges an Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, damit einige Vorurteile abgebaut werden können. Der erste Kurs in Frankfurt hat sich deshalb mit anderen Engagierten zur Genesungswerkstatt zusammengeschlossen und bleibt dran, dass es bald mehr Jobs für Genesungsbegleiter in den oben genannten Einrichtungen gibt.

Michelle: Aus dem ersten Frankfurter Kurs ist also die Idee der Genesungsbegleitung entstanden. Kann man sich dort auch engagieren oder können nur Menschen mitmachen, die eine Ausbildung haben?

Ullie: Nein – Jeder, der sich mit den Zielen des Vereins identifizieren kann, kann mitmachen und ist herzlich willkommen. Bitte dann einfach mit uns in Kontakt kommen.

Michelle: Super! Aber zurück zur Ausbildung. Wieviel kostet sie und wo findet sie statt?

Ullie: Die Kosten variieren je nach Ausbildungsinstitut, liegen aber üblicherweise pro Modul bei 200 Euro, wobei 12 Module innerhalb von einem Jahr zu absolvieren sind. Hinzu können, je nach Wohnort, noch Anfahrts- und Übernachtungskosten anfallen. Diejenigen, die an einer solchen Ausbildung Interesse haben, den Kurs aber nicht selbst finanzieren können, rate ich, sich bei ihrem bisherigen Leistungserbringer bezüglich finanzieller Unterstützung zu informieren. Dies können beispielsweise Arbeitsämter, Rentenversicherungsträger oder aktuelle Arbeitgeber sein. Auch kann man Zuschüsse von Wohlfahrtsverbänden in Betracht ziehen oder Stiftungen anfragen. Der Almosenkasten wäre in Frankfurt da beispielsweise eine Option.

Michelle: Welche Voraussetzungen müssen Teilnehmer mitbringen, um an der Ausbildung teilzunehmen?

Ullie: Neben einer möglichst stabilen gesundheitlichen Verfassung, damit man die rund 300 Schulungsstunden erfolgreich absolvieren kann, forderte mein Ausbildungsinstitut, dass ich Psychiatrie- und Selbsthilfeerfahrung mitbringe und bereit bin, mich auf Gruppenprozesse einzulassen. Hiervon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen, denn auch hier schauen die Trainer beim Auswahlprozess auf die individuellen Ressourcen und nicht auf die Schwächen. Also nur Mut!

Michelle: Welchen Tipp möchten Sie anderen Betroffenen mit auf den Weg geben, die ähnliche Erfahrungen haben?

Ullie: Dran bleiben und nicht zu schnell aufgeben. Es lohnt sich weiterzumachen.

Michelle: Vielen Dank!

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